DBfK aktuell - Mai 2024

„Wir müssen auch über den ökonomischen Wert von Pflege sprechen"

Dr. Andreas Büscher ist Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück und Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Zu seinen Schwerpunkten gehören unter anderem die Qualitätssicherung in der Pflege und die Langzeitpflegesysteme. Wir haben mit ihm über Pflege und Ökonomie gesprochen.

Zunächst einmal ganz allgemein gefragt: Welche ökonomischen Dimensionen hat Pflege?
Andreas Büscher: Man kann sich dieser Frage aus drei Richtungen zuwenden. Erstens kann man fragen, was Pflege kostet. Wenn Pflege nur als Kostenfaktor im Gesundheitssystem dargestellt wird, sage ich immer: „Gut, dann entlassen wir alle und das Problem ist gelöst.“ Dann wird schnell klar, dass Pflege einen Wert hat und nicht bloß Kostenfaktor ist. Die zweite Näherung fragt nach dem Wert von Pflege. Der ist tatsächlich nicht leicht zu beziffern. Für die Menschen mit Pflegebedarf gibt es einen hohen ideellen Wert guter Pflege. Ein Preis-Leistungsverhältnis haben aber die meisten Menschen nicht im Kopf, wenn sie den Wert von Pflege beziffern sollen. Die dritte Frage dreht sich um die Refinanzierung von Pflege. Also wer erhält Pflegeleistungen und was wird
refinanziert. 

Beginnen wir mit dem Wert von Pflege. Warum ist er so schwer zu beziffern?
Der Nutzen von Pflege ist methodisch schwer berechenbar, da man zwar sagen kann, was Pflege aktuell kostet, aber das „Was wäre wenn“ kann ich nicht sicher bestimmen. Das ist exemplarisch, da Pflege ganz oft Dinge abwendet: Komplikationen, eine Verschlechterung des Gesundheitszustands
oder eine Abnahme der Selbständigkeit zum Beispiel. Diese Folgen ausbleibender Pflege kann man aber nicht als Alternative zum Normalzustand verstehen und miteinander verrechnen. Hinzu kommt, dass der finanzielle Nutzen und die getätigten Investitionen nicht bei einer Institution liegen. Der ambulante Pflegedienst investiert Können und Zeit der Mitarbeitenden. Den finanziellen Nutzen ausbleibender Komplikationen hat aber vor allem die Krankenkasse, die eben keine Hüftoperation bezahlen muss, weil der Mensch in der Häuslichkeit nicht stürzt.


Die Steuerung des Pflegeprozesse muss refinanziert werden
Die Steuerung des Pflegeprozesse muss refinanziert werden
Prof. Dr. Andreas Büscher

Gute Pflege lohnt sich also in dem bestehenden System finanziell nicht für diejenigen, die sie leisten?
Die Ziele guter Pflege, also Gesundheit zu erhalten oder wiederzuerlangen, Unterstützung bei selbstständiger Lebensführung etc. sind für die Menschen, die Pflege erhalten, wichtig. Für die Pflegedienste lohnen sich ökonomisch jedoch nur die Leistungen, die von den Kassen refinanziert
werden. Es findet hier allerdings gerade ein Wandel statt, da wir Pflegepersonalnot haben. Das Interesse daran, dass Menschen möglichst lange selbstständig und ohne Pflegebedarf in der Häuslichkeit leben, steigt. Das ist aber in der Refinanzierungslogik noch nicht angekommen.

Gibt es denn einen Ausweg daraus?
Dafür müssen wir auch über den ökonomischen Wert von Pflege sprechen und wir müssen Pflegefachpersonen zutrauen, dass sie Probleme aufgrund ihrer Kompetenzen lösen können. Die Steuerung des Pflegeprozesses gehört zu allen Pflegesituationen und pflegerischen Maßnahmen. Das ist das Kernstück unserer Arbeit und wird aktuell nicht refinanziert. Hier ist ein Wandel in der Refinanzierung notwendig. Dies könnte beispielsweise über eine Pauschale für die Steuerung und Gestaltung des Pflegeprozesses oder in der Refinanzierung von Fachleistungsstunden abgebildet werden. Allerdings tun wir uns in der Pflege noch schwer, deren finanziellen Gegenwert zu beziffern.

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Die Verrichtungslogik der Pflegefinanzierung hat zu einem Schaden geführt, indem sie die Realität der Pflege bestimmt: Nur das, was refinanziert wird, ist möglich. Das führt dazu, dass leistungsrechtlich nicht abgebildete Möglichkeiten gar nicht empfohlen werden und Pflegende ihre Kompetenzen in diesem Bereich nicht weiterentwickeln. Dies verstärkt den Eindruck, dass die Pflege das Problem nicht lösen kann und führt zu einer Deprofessionalisierungsspirale. Die Erweiterung von Kompetenzen, wie beispielsweise die Verordnung von Hilfsmitteln, könnte das Zutrauen in die Pflege langsam wiederherstellen.

(AKH)

Diese Webseite nutzt externe Komponenten, wie z.B. Schriftarten, Karten, Videos oder Analysewerkzeuge, welche alle dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Weitere Informationen zu den von uns verwendeten Diensten und zum Widerruf finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Ihre Einwilligung dazu ist freiwillig, für die Nutzung der Webseite nicht notwendig und kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden.