Extremwettereignisse wie Hitzewellen bergen große Risiken vor allem für ältere Menschen und werden zunehmend zu einer Herausforderung für die Versorgungspraxis.
Die Geriater Jürgen Bauer und Clemens Becker konstatieren: „Der Klimawandel führt bereits jetzt zu gesundheitlichen Belastungen für ältere Menschen und wird in absehbarer Zeit ein bestimmender Faktor der gesunden Lebenserwartung mit Einschränkungen werden.“ (Bauer und Becker 2021, S. 122). Sie gehen davon aus, dass die gefährdetste Gruppe derzeit die Personen mit Pflegebedarf und solche mit chronischen Erkrankungen sind, die allein zu Hause leben. Diese Gruppe geht in die Millionen.
2023 hat das Bundesministerium für Gesundheit einen „Hitzeschutzplan für Gesundheit“ vorgelegt. Seine Ziele sind die thematische Sensibilisierung der Bevölkerung – insbesondere vulnerabler Gruppen – für die Gefährlichkeit von Hitze, die Reduzierung und Vermeidung von Todesfällen, die Abmilderung von Krankheitsverläufen, das Auslösen von Interventions- und Kommunikationskaskaden sowie die Verbesserung und Verbreitung wissenschaftlicher Evidenz. Für die Gruppe der älteren Menschen hat das Ministerium den Qualitätsausschuss Pflege beauftragt, Empfehlungen für die Einrichtungen der Pflege auszuarbeiten. Diese wurden im Frühjahr 2024 veröffentlicht und enthalten wiederum die Empfehlung an Pflegeeinrichtungen und -dienste, jeweils
einrichtungsindividuelle Hitzepläne zu entwickeln.
Im Wesentlichen wird darauf hingewiesen, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu sensibilisieren, zur Hitzeproblematik zu informieren und zu Maßnahmen zu beraten. Eine Reihe von pflegepraktischen Maßnahmen, ebenfalls präventiv während der Hitzewelle, werden außerdem aufgezählt (Qualitätsausschuss Pflege 2024). Mit den Plänen und Empfehlungen werden voraussichtlich viele wichtige Maßnahmen angestoßen, sie lassen aber noch große Lücken offen für die vielen pflegenden Familien ohne Unterstützung eines Pflegediensts sowie für die große Gruppe der alleine lebenden älteren Menschen, die noch keine pflegerische Unterstützung benötigen, aber in der Hitzewelle zu Risikopersonen werden.
Im Hitzeschutz liegt eine wichtige Aufgabe der professionellen Pflege. Pflegende haben oft den einzigen und wiederholten Zugang insbesondere zu der vulnerablen Gruppe der älteren, multimorbiden Menschen und können qua Profession wesentliche Maßnahmen steuern wie u. a. das Trinkverhalten, das Kühlen des Körpers und eine leichtere Bekleidung. Ihre Expertise im Beobachten von Symptomen, auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten, unterstützt in der Vorbeugung von Notfällen.
Pflegefachpersonen tragen nicht nur faktisch Verantwortung im Hitzeschutz, sondern ihre Beteiligung ist im Ethikkodex des International Council of Nurses (2021) verankert:
Vor allem den Pflegenden in den Pflegeheimen und in den ambulanten Pflegediensten kommt im Hitzeschutz viel Verantwortung zu. Entsprechend sollten sie befähigt werden, zum Beispiel mit dem Auffrischen von Wissen und Fortbildungen zum Thema „Hitzewellen“. Das kann und sollte auch niedrigschwellig erfolgen, zum Beispiel mit sogenannten „One-Minute-Wonder“-Schulungen. Ergänzend zur Sorge um die zu betreuenden Menschen sollte ebenfalls an die Arbeitsfähigkeit der Pflegenden während der Hitzewellen gedacht werden. Das betrifft Maßnahmen wie die Bereitstellung von Getränken und Kühlmöglichkeiten oder das Anpassen von Pausenzeiten. Anfallende Extraleistungen, beispielsweise zusätzliche Hausbesuche, sollten vergütet werden.
Dass für einen wirksamen Hitzeschutz in der ambulanten Pflege noch erhebliche Lücken bestehen, zeigt eine aktuelle Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege. Über die Hälfte der Befragten gaben an, dass in ihrem Pflegedienst noch kein Personal zum Thema Hitzeschutzmaßnahmen geschult worden sei; viele Dienste seien auch nicht in regionale Netzwerke eingebunden (Zentrum für Qualität in der Pflege 2024). Selbst wenn es gelingt, diese Lücken zu schließen, so werden ambulante Pflegedienste jedoch nur für die Gruppe der Menschen tätig, für die ein Pflegevertrag abgeschlossen wurde. Pflegende Familien werden allenfalls über die betreuenden Hausärzt:innen erreicht und vermutlich meist nur, wenn Angehörige die Initiative ergreifen. Allein lebende ältere Menschen bleiben auf sich gestellt.
Eine Lösung liegt in der Stärkung der Gemeindegesundheitspflege und damit – wie für die Sicherung der Primärversorgung insgesamt – in der Einführung der Community Health Nurse. Ihr Profil legt nahe, sich an der Entwicklung von Hitzeschutzplänen für die Bevölkerung zu beteiligen. So wäre eine wichtige Aufgabe, in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeisteramt oder vergleichbaren Stellen sowie den ambulanten Pflegediensten, rechtzeitig im Frühjahr die vulnerablen Personen –
zum Beispiel alleinstehende ältere Menschen, die in Dachgeschosswohnungen leben – im lokalen Umfeld zu identifizieren, um im Fall der Hitzewelle rechtzeitig für angemessene Maßnahmen zu sorgen und niemanden zu vergessen. Mit erweiterter klinischer Kompetenz sind Community Health
Nurses auch ideale Ansprechpartner:innen für pflegende Familien. Beratung und enge, zugehende Begleitung kann bei kritischen Diagnosen wie Nieren- oder Herzinsuffizienz erforderlich werden. Der Klimawandel verstärkt einmal mehr die Notwendigkeit von Systemreformen. Die Profession Pflege spielt für wirksame Lösungen eine wesentliche Rolle. In die Erweiterung ihrer Kompetenzen, in neue Rollen wie die Community Health Nurse und in Profile, die den Einsatz in Krisen- und Katastrophenfällen ermöglichen, muss investiert werden.
(BK)
Literaturangaben: